Dem Foto der „Erzengel“ im vergangenen Monat schließt sich in unserer Reihe „Objekt des Monats“ nun ein Kleidungsstück an, das Frauen auf der Insel Enggano vor der Küste Sumatras trugen. Es war in etwa in der gleichen Zeit Teil ihrer Ausstattung, in der die jungen Frauen des Bergischen Landes in den Erzbergwerken arbeiteten. Letztere konnten sich bei der Handscheidung von erzhaltigem Gestein und Schutt ein Einkommen erwirtschaften. Dagegen mussten sich die Trägerinnen eines solchen Rocks auf Enggano einen derartigen Akt der Emanzipation nicht erst erarbeiten. Hier können Sie erfahren, warum es so war.
Mit etwa 400 km² Fläche ist Enggano nicht einmal halb so groß wie das Stadtgebiet von Berlin. Die Insel war bis ins 19 Jahrhundert abseits der wichtigen Seehandelsrouten gelegen und lange Zeit vergleichsweise isoliert. Nichts desto trotz verfügt sie über ein reiches kulturelles Erbe.
Die Menschen auf Enggano leiteten ihre Herkunft ursprünglich von drei Frauen ab, die ausgesandt waren, um die verschiedenen Verwandtschaftsgruppen (suku) auf der Insel zu begründen. Aus diesem Gründungsmythos ergab sich eine matrilineare Sozialstruktur, d.h.: es waren in der Regel die Frauen, die die suku führten und ihren Besitz von Land, Häusern und Booten an die Töchter vererbten. Die Überlieferungen der kulturellen Praxis auf Enggano sind allerdings vergleichsweise lückenhaft und vage. Als gesichert kann aber gelten, dass die Gürtel von den Frauen bei der Ausrichtung der für die Gemeinschaft wichtigen Erntefeste (eakalea) getragen wurden. Vermutlich unterstrichen sie auch eine bestimmte rituelle Funktion, die ihre Trägerinnen aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung im Familienverband innehatten.
Der ästhetische Reiz des Gürtels macht sich in besonderer Weise an den mehrere Tausend zählenden dunkelroten Glasperlen fest, die ihre Trägerin schmückten. Die Perlen wurden auf je ca. 20 cm lange Schnüre aufgereiht, die in ein Band aus fein geflochtenem Rotang eingebunden sind. Hergestellt wurden die Perlen aber weder auf der Insel selbst, noch auf dem gesamten malaiischen Archipel (heute Indonesien und Malaysia) zu dem die Insel gehört.
Woher kamen diese Perlen? Bricht einer der etwa Stecknadelkopf großen Glaskörper, so lässt sich eine innen um das Loch laufende, weiß gefärbte Wandung erkennen. Gelegentlich wird sie als ‚weißes Herz‘ bezeichnet. Die Perlen selbst werden Überfangperlen genannt. Sie wurden ursprünglich in Venedig gefertigt. Ihre Herstellung war zunächst sehr aufwendig. Doch über den Export und die Entwicklung neuer Fertigungstechniken in den Niederlanden und Böhmen im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts fanden Hackperlen, wie sie auch genannt wurden, eine weltweite Verbreitung. So fanden die aus einem zweischichtigen, gezogenen Glasröhrchen ‚gehackten‘ Perlen schließlich ihre (Handels-)Wege bis nach Südostasien.
Da die Menschen auf Enggano aus der Perspektive arabischer, indischer, europäischer und malaiischer Händler wenig von Tauschwert zu bieten hatten, wurden die Perlen in den meisten Fällen nicht direkt von den Handelsschiffen erworben. Stattdessen gab es einen regen Zwischenhandel. Er erfolgte meist über die größeren Inseln Sulawesi und Sumatra. Gerade dieser Umstand war es, der die Perlen auf Enggano umso wertvoller und für ihre Trägerinnen sicher auch umso mehr zum Symbol ihrer herausgehobenen gesellschaftlichen Stellung machte.
Aus Barmen im Tal der Wupper entsandte Missionare und Missionarinnen der Rheinischen Missionsgesellschaft kamen ab 1901 auf die Insel Enggano. Der Leibgürtel kam im Rahmen dieser Missionsarbeit in das Bergische Land nach Wuppertal. Dort ist er heute in der Dauerausstellung des Museums auf der Hardt zu sehen.
Nicht zuletzt kann der Gürtel aber auch für das Motto des aktuellen Themenjahrs des Netzwerks der Bergischen Museen „Alles in Verbindung“ stehen. Denn er wirft nicht nur ein Schlaglicht auf frühe Handelsbeziehungen in einer globalisierten Welt. Er zeigt vielmehr auch Verbindungslinien zwischen dem Leben und gesellschaftlichen Status von Frauen auf, die an entgegengesetzten Enden der Welt, zur selben Zeit unter ganz verschiedenen Bedingungen lebten und wirkten.
Christoph Schwab, Museum auf der Hardt der Archiv- und Museumsstiftung der VEM
Um Welthandel und Statussymbole, die vor allem Frauen zu schätzen wussten, wird es auch bei dem Objekt des kommenden Monats gehen, das uns in das Niederbergische Museum Wülfrath führt. Es ist ein Objekt, das in vielen Bergischen Haushalten zu finden war. Um so verblüffender ist es, dass man ihm eine ursprüngliche Verbindung zu Japan nachsagt. Was es damit auf sich hat, erfahren Sie im Juni.