Mein Name ist Yvonne Gönster und ich leite das Deutsche Schloss- und Beschlägemuseum in Velbert. Unsere Sammlung umfasst rund 17.000 Schlösser, Schlüssel und Beschläge. Ich habe mich inhaltlich bereits mit vielen Objekten auseinandergesetzt und bin immer wieder fasziniert über die erstaunlichen Geschichten, die hinter unseren Exponaten stecken. Eines meiner Lieblings-Objekte ist der sogenannte französische Kammbartschlüssel, der wegen seines Aussehens manchmal auch Laternengriffschlüssel genannt wird. Er wurde um 1630 in Frankreich hergestellt und ist 16,2 cm hoch.
Schaut man sich den Bart des Schlüssels genauer an, erkennt man 21 kleine, kreisrunde Durchbrüche, die aufwendig eingelassen wurden. Daran schließt sich der eigentliche Bart mit seinen 29 hauchdünnen Lamellen an, die jeweils eine Stärke von lediglich 0,8 mm aufweisen und die wie ein Kamm dicht nebeneinander angeordnet sind. Der kurze Halm des Schlüssels wird durch ein Kapitell aus drei horizontalen Platten abgeschlossen. Darüber befindet sich eine beidseitig sichtbare Rosette mit zwei aufgesetzten Löwenmasken, die von einem durchbrochenen Aufsatz in Laternenform gekrönt wird.
Mich begeistert der Schlüssel nicht nur wegen seiner feinen Ausarbeitung und detaillierten Verzierung, sondern vor allem wegen seiner Herstellung. Denn hier wurde die Eisenschnitttechnik angewendet. Bei diesem anspruchsvollem und sehr zeitaufwendigem Verfahren wird zunächst mit einem Gravierstichel eine Umrisszeichnung auf dem Werkstück erstellt. Danach wird das Material bearbeitet, indem kleine Späne mit Säge, Meisel, Feile, Gravierstichel und Bohrer vom kalten Eisen abgehoben werden.
Der vorliegende Schlüssel besteht aus drei Einzelteilen, die mit dieser Technik hergestellt wurden: (1) der Bart bis zur unteren Platte des Kapitells, (2) das restliche Kapitell bis zur Rosette und (3) die Laterne. Anschließend wurden die Teile zusammengesetzt. Die Eisenschnitttechnik ist seit der Antike bekannt, doch wurden Durchbrüche sowie vollplastische Objekte erst ab dem 16. Jahrhundert auf diese Weise hergestellt. Bei den hauchdünnen Lamellen des vorliegenden Schlüssels gab es wahrscheinlich zahlreiche Fehlversuche. Daher hat die Herstellung unseres Schlüssels vermutlich ein Jahr gedauert – eine beachtliche Leistung, wie ich finde. Der prachtvolle und kostbare Schlüssel ist daher für mich die „Mona Lisa“ unserer Museumssammlung.
Kammbartschlüssel wurden zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert gefertigt und unterscheiden sich lediglich in der Ausführung ihrer einzelnen Elemente, also zum Beispiel in der Ausgestaltung der Laterne. Das Aussehen der Schlüssel (samt der zugehörigen Schlösser) war exakt vorgeschrieben, weil diese in Frankreich als Meisterstücke gefertigt wurden. Dabei legten Statuten des Schlosserhandwerks aus dem Jahre 1411 die Vorgaben fest, über die zur Bewahrung der Qualitätsstandards streng gewacht wurde. Eine Verordnung von 1699 milderte schließlich die strengen Statuten und lies auch andere Meisterstücke zu – dies war gewiss eine Erleichterung für die angehenden Meister, denn die Herstellung eines solchen Schlüssels war sehr schwierig.
Aus all diesen Gründen wurde mir während der Erarbeitung eines neuen Museumskonzepts recht schnell klar: Unsere „Mona Lisa“ ist so wichtig, dass „sie“ eine eigene Vitrine in der neuen Dauerausstellung bekommen muss!
Dr. Yvonne Gönster, Deutsches Schloss- und Beschlägemuseum Velbert