Sperrenzange, Detail

Sperrenzange. Foto: Lokschuppen Hochdahl

#GenauGeschaut 7: „Die Fahrkarte bitte.“

Dezember 2024

Diese Aufforderung hörten wir jeden Morgen und jeden Nachmittag. Wir, das waren neben den Werktätigen all die „Fahrschüler“, die Ende der sechziger Jahre / Anfang der siebziger Jahre morgens gegen 7:10 Uhr mit dem einzigen Zug, einem „Schienenbus“, im südniedersächsischen Kreiensen ankamen, um dort zur Schule zu gehen.

Um das Bahnhofsgelände betreten oder verlassen zu können, mussten alle Fahrgäste erst durch die „Sperre“, das Nadelöhr, welches das Bahnhofsgelände vom öffentlichen Bereich abtrennte.
Einzelfahrkarten wurden hier durch den Bahnbeamten mit der „Sperrenzange“ nach der Fahrt entwertet bzw. neue Fahrkarten vor Fahrtantritt freigeschaltet und damit die Berechtigung zum Betreten des Bahnsteigs gegeben. Unsere Fahrkarten wurden nur einmal gelocht, danach nur noch visuell kontrolliert, sonst wären sie am Ende des Monats ganz zerlöchert gewesen.

Sperrenzange

Seinerzeit war dies für uns alle ein tägliches Ritual, über das nicht lange nachgedacht wurde – Fahrkarte hochhalten und weitergehen. Es sei denn, man hatte keine Fahrkarte dabei, d.h. bestenfalls seine Monatskarte zu Hause vergessen oder, schlimmer noch, sogar verloren, was zur damaligen Zeit für die meisten eine wesentliche Belastung des Familienbudgets darstellte und mit Ärger verbunden war.

Es blieb dann nichts anderes übrig, als dem Sperrenbeamten dieses zu beichten und auf ein Einsehen zu hoffen. Ohne Fahrkarte war man „Schwarzfahrer“ und musste sowohl für die Hin- als auch die Rückfahrt vom sowieso knappen Taschengeld zwei Einzelfahrkarten kaufen – eine für die Hin- und eine für die Rückfahrt. Das war für uns Schüler eine enorme Belastung, denn so viel Taschengeld hatte damals in der Regel keiner dabei. Bei einem Verlust kam bei der zweiten Beichte zu Hause der Ärger mit Konsequenzen noch dazu.

Wie erleichtert war der Ertappte dann, wenn er meistens nach der Androhung eines neuen Fahrkartenkaufs und einer anständigen Standpauke durch den Sperrenbeamten schließlich doch die Sperre passieren konnte. Schließlich waren unsere Gesichter über die Jahre auch den Bahnbeamten an der Sperre bekannt. Geschafft – doch nachmittags gab es die gleiche Hürde nochmals zu überwinden. Es sei denn, man fand eine alternative Transportmöglichkeit für den Rückweg.

An diese Verhältnisse wurde ich erinnert, als ich bei uns im Museum „Lokschuppen Hochdahl“ in der ehemaligen Fahrkartenausgabe des alten Bahnhofs Erkrath eine solche „Sperrenzange“ liegen sah.
Mit dieser Zange wird in die Fahrkarten, aber auch in die seinerzeit noch erforderlichen „Bahnsteigkarten“, ein ovales Loch „geknipst“ und das aktuelle Datum sowie ein Hinweis auf die Tageszeit der Kontrolle eingestanzt. Später, bei Kontrollen im Zug, erhielt die Fahrkarte dann zusätzlich durch den Schaffner bzw. Zugführer mit der „Schaffnerzange“ einen Farbaufdruck mit weiteren diversen Kontrollmerkmalen wie Zugnummer, Kontrollzangennummer u.a.

Das Prinzip der Sperren wurde bei der Deutschen Bundesbahn Ende der 1960er Jahre sukzessive bis zum Sommer 1974 abgeschafft. Voraussetzung für die Abschaffung war für die DB u. a. die Genehmigung eines Fahrpreiszuschlags von 20 D-Mark für Schwarzfahrer. Heute ist eine solche Zugangsbehinderung für die Jüngeren kaum vorstellbar, wo doch in Deutschland überall freier Zugang zu allen Bahnhöfen, Straßenbahnhaltepunkten und auch U-Bahn-Stationen besteht.

Geschuldet war das Prinzip der Fahrkartenkontrolle vor Fahrantritt an der Sperre u. a. dem Umstand, dass durch die Konstruktion bei älteren Waggons der gefahrlose Übergang zwischen den einzelnen Wagen für die Schaffner während der Fahrt oftmals nur schwer möglich war. Bei den alten Abteilwagen z. B. mussten sich die Schaffner teilweise außen am Zug auf den Trittbrettern entlanghangeln, was mitunter schwere Unfälle zur Folge hatte.

Heutige Buchungs- und Kontrollsysteme sowie gesellschaftliche Veränderungen haben die Sperre und den Einsatz der Sperrenzange überflüssig gemacht.

Wolfgang Weiberg, Museum Lokschuppen Hochdahl